Wie das Vertikaltuch die Schweiz eroberte!

Wie das Vertikaltuch die Schweiz eroberte

«Was ist eigentlich mit der Schweizer Luftartistik-Geschichte? Gibt es da irgendwo Informationen dazu? Oder Menschen, die etwas darüber wissen? Wie und wann kam diese Kunst in die Schweiz? Wer hat sich schon früh damit beschäftigt?» Das habe ich mich schon vor Jahren gefragt, als ich Unterlagen für ein Luftartistik-Modul erstellt habe. Dabei habe ich das Internet durchforscht und fing an, andere Menschen aus der Luftartistik-Szene zu fragen. Es wäre doch schön, wenn wir mehr über die Luftartistik-Geschichte der Schweiz wüssten – Wo ist das Schweizer
Erbe der Luftartistik?

Immer wieder kam mir der Name Maja Weiller zu Ohren. Von Schülerinnen, die in meine Stunden kamen oder auch von anderen Luftartistinnen, die ich an Shows traf. Sie musste also schon lange Luftartistin sein und ihre Schule in Zürich scheint schon ewig zu existieren.

Dann… erst Anfang dieses Jahres habe ich ihr endlich geschrieben. Über den Kontakt auf ihrer Homepage habe ich ihr eine Anfrage für ein Treffen geschickt. Zu gerne wollte ich mehr von ihr erfahren und wissen, ob sie etwas über die Luftartistik-Geschichte
der Schweiz weiss. Tatsächlich hat sie zurückgeschrieben und war sofort sehr offen für ein Gespräch. Wie schön, dass ich Maja dann in ihrem  Lieblingskaffee in Zürich treffen durfte… Ich sass im Kafi Dihei vor einem Kaffee, als Maja kurz nach dem Mittag durch die Türe kam. Sofort war klar, dass sie es war. Eine zierliche Frau mit Mütze, Schal und einem freundlichen, offenen Lächeln im Gesicht.

Maja Weiller:

Maja wohnt in Winterthur und arbeitet in Zürich. Sie hat ihre Luftartistik-Schule schon seit jeher in Zürich und verdient sich damit ihren Lebensunterhalt.

vertikaltuch.ch

Sie ist auch nach Jahren noch aktive und leidenschaftliche Artistin. Auch wenn dieses Leben nicht immer ganz einfach ist… Sie ist gut darin, sich durchs Leben zu kämpfen und auch wenn es mal ein Tief gab, ist sie immer wieder aufgestanden. «Die Leidenschaft für die Luftartistik ist noch immer voll da».

Plakat der ersten Tuchshow in der Schweiz/ Maja im Circus Monti 2000

Maja ist auf dem Land aufgewachsen und hat sich schon immer sehr gerne bewegt. Sie ist ein Bewegungsmensch. Schon auf dem Land hat sie mit dem Tanzen begonnen. «Damals gab es halt nur das Eine. Damals war das Jazzdance und Modern Dance.»

Dann hat sie ans Liceo Artistico – Italienisch sprachiges Kunstgymnasium gewechselt. Durch diesen Wechsel kam Maja nach Zürich. Während des Gymnasiums hat sie sich mit anderen zusammengeschlossen und ist mit der Acro Dance Company aufgetreten. Sie tourte zu dieser Zeit mit den Dynamo Performers, einem Tanz- und Musikprojekt durch die Schweiz.

Nach der Matura war dann klar, dass sie weiterhin etwas mit Bewegung machen wollte. Es war allerdings noch unklar, ob Tanz oder Artistik. Die Suche war damals schwierig, aufwendig und kompliziert. Es gab ja noch nicht viele Informationen im Internet.

Es kam die Zeit der Aufnahmeprüfungen… Sie hat dann mehrere Auditions erfolgreich absolviert und sich schlussendlich für die Zirkusschule Circomedia in Bristol entschieden.

«In Bristol habe ich dann das Vertikalseil entdeckt und mich verliebt. Meine erste grosse Luftartistik-Liebe. Damals war das Tuch noch nicht wirklich bekannt und noch überhaupt nicht verbreitet. Am Seil hatte ich Bewegungsfreiheit und maximale Kreativität war möglich. Das hat mich fasziniert und magisch angezogen. So etwas Schlichtes und du kannst so viel damit machen.» schwärmt sie noch heute.

Das Seil wurde zu ihrer Sprache, mit der sie sich fortan künstlerisch ausdrücken wollte und konnte.

«Weil es nach wie vor meine grosse Leidenschaft ist. Die Luftartistik ist mein volles Herzblut. Heute geht es allerdings nicht mehr nur um mich und meine Shows. Jetzt geht es auch mehr noch ums Weitergeben.

Es gab einen Moment im 2010, da dachte ich, ich höre jetzt mit allem auf! Ich hatte Schmerzen in der Schulter und es stellte sich heraus, dass meine Bizepssehne angerissen war. Zuerst pausierte ich einen Monat, dann drei Monate und es wurde einfach nicht besser. Schliesslich konnte ich einer Operation nicht mehr entgehen. Das war eine harte Zeit. Dank meines Körpers konnte ich mich aber nach einem halben Jahr zurückkämpfen. Nach 8 Monaten machte ich sogar wieder Shows.

Klar, es gibt Tage, da habe ich kein Bock, keine Lust, bin verletzt oder müde. Mit der Zeit habe ich jedoch gelernt, dass diese Momente kommen und gehen. Das gehört dazu. Das Leben mit der Luftartistik habe ich aber nie in Frage gestellt. Wir gehören zusammen.

Am Anfang gab mir vor allem das «auf der Bühne stehen» viel Energie und Lust weiter zu gehen. Mit der Zeit habe ich immer mehr auch für andere Artist*innen choreografiert und inszeniert und fand darin ebenso meine Passion. Shows zu machen, zu inszenieren und zu choreografieren wurden die Träger meiner Leidenschaft.

Ich liebe es, meine Artistikstunden zu geben. Der Kontakt mit den Menschen tut mir gut und macht mich glücklich. Ich gebe mein Wissen gerne weiter. Nach meiner OP habe ich begonnen, mehr zu unterrichten, um auch mehr finanzielle Sicherheit zu haben. Shows und Unterricht sind jetzt ausgeglichener.»

«Ich kam dann von Bristol nach dem Abschluss der Zirkusschule zurück in die Schweiz. Wir waren damals zu zweit und haben alle Zirkusse der Schweiz, die wir gefunden haben, angerufen, um uns und unsere Acts zu vermarkten. Nach vielen auch teils lustigen Telefonaten konnten wir u.a. beim Circus Monti und im Variété Circus Stellina unsere Acts live vorzeigen gehen. Stellina war dann der erste Zirkus mit dem ich mitgereist bin.

In England, in der Zirkusschule wurden wir sehr auf zeitgenössischen Zirkus ausgebildet. In der Schweiz war das anders. Ich habe dann schnell gemerkt, dass die Schweiz noch sehr klassisch unterwegs war. Meine Showacts waren für Stellina zu zeitgenössisch und ich musste lernen mich ein bisschen anzupassen. Die Musik meines Seilacts war dann schlussendlich nicht mehr die originale Musik… Maja lacht

Damals gab es keine Trainingslokale. Wenn man ein Engagement hatte, konnte man direkt im Zelt trainieren oder der Zirkus stellte Trainingslokale zur Verfügung. Wenn du alleine trainieren wolltest, musstest du kreativ sein. Ich trainierte damals zu Anfangszeiten in einer Scheune auf dem Land. Kurz darauf habe ich das GZ Heuried angefragt, wo ich noch heute stationiert bin mit meinen Schüler*innen.

Die Luftartistik-Szene Schweiz war sehr klein. Man kannte sich von Auftritten und Shows. Ich kannte zum Beispiel Andrea Wick, die damals Trapez gemacht hat oder auch Helena Wyder, die Nummern am traditionellen Seil ausübte. Es gab damals keinen Treffpunkt, um sich kennen zu lernen oder eine online Plattform oder so.

Dann kam der Moment als der Zirkus Monti sich eine Tuchnummer gewünscht hat. Das war sehr innovativ und hat man damals in der Schweiz noch nicht gekannt. Nachdem Sie mich eigentlich erst fürs Jahr darauf engagieren wollten, haben sie mich angerufen und angefragt, ob ich nicht doch gleich mitreisen könne. Obwohl ich nochmals eine Saison bei Stellina machen wollte, landete ich somit direkt bei Monti in den Proben für die Saison 2000. Sie besorgten mir ein Tuch und Trainingszeit. Heute unvorstellbar… doch mein Training begann damals mit ein paar Beispielfotos vom Cirque du Soleil.

Das Stück entstand damals eigentlich zu zweit mit Heidi Ämisegger (Öff Öff) als Choreografin. Schlussendlich war ich dann alleine, da sich die andere Artistin zurückgezogen hatte, und ich habe meine eigene Choreografie kreiert. Ehrlich gesagt entstand die Nummer im Prozess. Ich konnte sie von Show zu Show verändern und verbessern. Diese Show war 2000 eine der ersten Tuchnummern in der Schweiz…

Dann kam die Faszination fürs Tuch in Wellen.…  Zuerst kam das Tuch in die Zirkus Community. Diverse Zirkusse boten Tuchnummern an. Dann wurde das Tuch immer beliebter bei den Kindern und so kam es immer mehr in alle Kinderzirkusse. Mehr und mehr wird es nun zum Mainstream und einige Studios nutzen es heute ja auch als Sportgerät. Für mich ist und bleibt das Tuch eine Kunstform.»

 «Das Vertikaltuch kommt aus dem Zirkus und ist eine Kunstform. Schon vor 25 Jahren war das Vertikaltuch ein zeitgenössisches Zirkusrequisit. Das Vertikaltuch hat seinen Ursprung im Vertikalseil, welches ein altes Zirkusrequisit ist.»

«Ich wünsche mir, dass Luftartist*innen auch in Zukunft noch von ihrer Tätigkeit leben können. Dazu bräuchte es eine Lobby oder auch gute Verbandsarbeit. Angemessene Gagen für Shows wie auch Artisten, die eine realistische Gage verlangen. Ich wünsche mir, dass die Anerkennung für uns Luftartist*innen bleibt.»

 

«Für mich war das sofort klar. Luftartistik ist meine Welt. Aufklärungsarbeit hierfür ist wichtig. Als Luftartistin seit über 25 Jahren empfinde ich es auch als meine Pflicht mein Wissen und meine Erfahrungen weiterzugeben.»

Was möchtest du jungen Luftartist*innen noch sagen?

«Lasst euch nicht unterkriegen. Bleibt euch treu, macht weiter und steht immer wieder auf!»

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